Einsiedler
Fremdkörper
-> alle Aquarelle der Serie (auf Papier): 14,7 x 10,5 cm
Glastüren schieben sich beiseite; trockene, warme Luft bläst mir entgegen. Es riecht sofort nach Asian Take Away - Geschmacksverstärker mit etwas Gemüse, denke ich, und genieße den süßlich-intensiven Geruch, der sich sogleich mit Pizza- und Dönerduft vermengt. Angekommen im „meta-universe“, Heimat der Anglizismen, unabhängig von Klima und Jahreszeit. Täglich bevölkert von Suchenden, von Verlangenden. Langsam gehe ich weiter... in eine Welt, die ich seit Jahren wenn nur irgend möglich meide. Hell und groß, aber stickig – so ganz fern von der dämmernden Kälte, die mir keine zwei Meter in dieses Reich folgen konnte. Popmusik dringt aus allen Ecken, überschlägt sich, wetteifert, ergänzt sich zu unrhythmischer Geräuschformation. Mittlerweile werde ich von der Rolltreppe nach oben bewegt und bekomme einen kleinen Überblick: Glitzer und Licht ergießen sich über Fenster und Farben, gepaart mit penetranter Weihnachtsdekoration.
Shopping-Center scheinen auf der ganzen Welt gleich zu sein. Wohltemperierte Vollklimatisierung, offene mehrstöckige Hallen, Glaswände und -schiebetüren, artifizielles Licht. Wohlfühlfaktor? Zohlen spricht von einem „internationalen, also national und kontinental indifferenten Raumgebilde“, einer „architektonischen Kunstwelt“ (2) in welcher „Urbanität inszeniert [wird] und Öffentlichkeit, heiteres Leben“ (1 ). Geboren in den extremen Witterungszonen im Süden und Norden Nordamerikas, um den „Wechselfällen der Witterung das einkaufsfördernde Gleichmaß einer Wohnzimmeratmosphäre entgegenzuhalten“ (Zohlen 2), haben die Malls seit geraumer Zeit nun auch Stuttgarts Stadtbild erobert - trotz gemäßigter Zone, trotz Königstraße - aus Liebe zum Konsum. Der Vorteil ist wohl, dass man sich überall auf der Welt zuhause fühlt, sobald man eine Shopping Mall betritt (oder umgekehrt urban international, für die, die lieber zuhause bleiben). Globalisiertes Kaufverhalten - ein Konsens aller Kulturen. Dieses schön verpackte, universelle Antiklima verlangt geradezu nach künstlerischer Nutzung. Also trotze ich der trockenen, warmen Luft voll Chemieodeur und dem sich überlagernden Popmusiklärm und stürze mich in die Einkaufsflut.
„Entschuldigen Sie mal, was machen Sie denn da?“
Zwei breite Männer in auffällig unauffällig dunkelblauer Montur bäumen sich vor mir auf.
„Malen? Haben Sie eine Lizenz? Weiß die Geschäftsleitung davon?“ Mitkommen.
Ich folge durch Bereiche, die ein Normalsterblicher, oder sagen wir lieber Normaleinkäufer, in der Regel nie zu Gesicht bekommt - schwere Türen, ein karges Treppenhaus - nach oben. Vor einer Tür mit der Aufschrift "Personalbüro" werde ich abgesetzt, um von irritierten Bürodamen gleich zum nächsten Raum geschickt zu werden. Was mir mittlerweile klar ist: Das ist ein Fall für die oberste Geschäftsleitung (die, wie sich gleich herausstellt momentan verreist ist).
Erneute Irritation.
Bilder anfertigen ist in diesem Hause nicht erwünscht.
- Aber...
„Verkaufen Sie diese?“
„Wie lange brauchen Sie dafür?“
„Für was brauchen Sie es?“
„Für wen arbeiten Sie?“
Ein ernstes Kopfnicken. Na also. Da hatte ich schon mit komplizierteren Konsumpalastoberhauptsstellvertretern zu tun.
Shopping-Center und Museen haben viel gemeinsam. Preziöse Zurschaustellung von Dingen, die es wert sind, die man braucht – oder eben nicht braucht. Ich merke, wie ich die Konsumgüter und ihre Umgebung anders betrachte: Farben, Anordnungen, Licht und Schatten, Raumverhältnisse. Wandle durch die Läden, stehe lange mit zusammengekniffenen Augen und zur Seite geneigtem Kopf vor Clogs für Kinder, Jeanshaufen und Jellybeans.
„Ist mit Ihnen alles in Ordnung? Geht es Ihnen gut?“
Sich am Überfluss zu ergötzen und seinen Teil zur globalen Ausbeutung beizutragen ist normal. Dinge kontemplativ zu betrachten scheinbar nicht.
…und somit empfinde ich mich schon bevor ich meinen kleinen Aquarellkastenvorbau angeschnallt habe als Fremdkörper in diesem klar definierten Shoppingkosmos. Ich frage mich, inwiefern Kunst generell ein Fremdkörper im "Alltag" ist, außerhalb musealer Institutionen und Bildungseinrichtungen. Und wie konfrontiert oder erreicht man Menschen, die sich kaum bis nie mit Kunst auseinandersetzen und dies eigentlich auch nicht vorhaben? Ein Aquarellkasten mit Pinsel mag die ein oder andere Volkshochschulkursassotiation auslösen, dennoch könnte gerade diese Art von Sprache der Schlüssel zur Kommunikation sein.
Quelle:
Zohlen, Gerwin. "Eine Erlebnisumgebung mit kontrollierter Temperatur." Zeit Online, 3 Sept.
1 993, www.zeit.de/1 993/36/eine-erlebnisumgebung-mit-kontrollierter
temperatur, Accessed 21 March 2017
Glastüren schieben sich beiseite; trockene, warme Luft bläst mir entgegen. Es riecht sofort nach Asian Take Away - Geschmacksverstärker mit etwas Gemüse, denke ich, und genieße den süßlich-intensiven Geruch, der sich sogleich mit Pizza- und Dönerduft vermengt. Angekommen im „meta-universe“, Heimat der Anglizismen, unabhängig von Klima und Jahreszeit. Täglich bevölkert von Suchenden, von Verlangenden. Langsam gehe ich weiter... in eine Welt, die ich seit Jahren wenn nur irgend möglich meide. Hell und groß, aber stickig – so ganz fern von der dämmernden Kälte, die mir keine zwei Meter in dieses Reich folgen konnte. Popmusik dringt aus allen Ecken, überschlägt sich, wetteifert, ergänzt sich zu unrhythmischer Geräuschformation. Mittlerweile werde ich von der Rolltreppe nach oben bewegt und bekomme einen kleinen Überblick: Glitzer und Licht ergießen sich über Fenster und Farben, gepaart mit penetranter Weihnachtsdekoration.
Shopping-Center scheinen auf der ganzen Welt gleich zu sein. Wohltemperierte Vollklimatisierung, offene mehrstöckige Hallen, Glaswände und -schiebetüren, artifizielles Licht. Wohlfühlfaktor? Zohlen spricht von einem „internationalen, also national und kontinental indifferenten Raumgebilde“, einer „architektonischen Kunstwelt“ (2) in welcher „Urbanität inszeniert [wird] und Öffentlichkeit, heiteres Leben“ (1 ). Geboren in den extremen Witterungszonen im Süden und Norden Nordamerikas, um den „Wechselfällen der Witterung das einkaufsfördernde Gleichmaß einer Wohnzimmeratmosphäre entgegenzuhalten“ (Zohlen 2), haben die Malls seit geraumer Zeit nun auch Stuttgarts Stadtbild erobert - trotz gemäßigter Zone, trotz Königstraße - aus Liebe zum Konsum. Der Vorteil ist wohl, dass man sich überall auf der Welt zuhause fühlt, sobald man eine Shopping Mall betritt (oder umgekehrt urban international, für die, die lieber zuhause bleiben). Globalisiertes Kaufverhalten - ein Konsens aller Kulturen. Dieses schön verpackte, universelle Antiklima verlangt geradezu nach künstlerischer Nutzung. Also trotze ich der trockenen, warmen Luft voll Chemieodeur und dem sich überlagernden Popmusiklärm und stürze mich in die Einkaufsflut.
„Entschuldigen Sie mal, was machen Sie denn da?“
Zwei breite Männer in auffällig unauffällig dunkelblauer Montur bäumen sich vor mir auf.
„Malen? Haben Sie eine Lizenz? Weiß die Geschäftsleitung davon?“ Mitkommen.
Ich folge durch Bereiche, die ein Normalsterblicher, oder sagen wir lieber Normaleinkäufer, in der Regel nie zu Gesicht bekommt - schwere Türen, ein karges Treppenhaus - nach oben. Vor einer Tür mit der Aufschrift "Personalbüro" werde ich abgesetzt, um von irritierten Bürodamen gleich zum nächsten Raum geschickt zu werden. Was mir mittlerweile klar ist: Das ist ein Fall für die oberste Geschäftsleitung (die, wie sich gleich herausstellt momentan verreist ist).
Erneute Irritation.
Bilder anfertigen ist in diesem Hause nicht erwünscht.
- Aber...
„Verkaufen Sie diese?“
„Wie lange brauchen Sie dafür?“
„Für was brauchen Sie es?“
„Für wen arbeiten Sie?“
Ein ernstes Kopfnicken. Na also. Da hatte ich schon mit komplizierteren Konsumpalastoberhauptsstellvertretern zu tun.
Shopping-Center und Museen haben viel gemeinsam. Preziöse Zurschaustellung von Dingen, die es wert sind, die man braucht – oder eben nicht braucht. Ich merke, wie ich die Konsumgüter und ihre Umgebung anders betrachte: Farben, Anordnungen, Licht und Schatten, Raumverhältnisse. Wandle durch die Läden, stehe lange mit zusammengekniffenen Augen und zur Seite geneigtem Kopf vor Clogs für Kinder, Jeanshaufen und Jellybeans.
„Ist mit Ihnen alles in Ordnung? Geht es Ihnen gut?“
Sich am Überfluss zu ergötzen und seinen Teil zur globalen Ausbeutung beizutragen ist normal. Dinge kontemplativ zu betrachten scheinbar nicht.
…und somit empfinde ich mich schon bevor ich meinen kleinen Aquarellkastenvorbau angeschnallt habe als Fremdkörper in diesem klar definierten Shoppingkosmos. Ich frage mich, inwiefern Kunst generell ein Fremdkörper im "Alltag" ist, außerhalb musealer Institutionen und Bildungseinrichtungen. Und wie konfrontiert oder erreicht man Menschen, die sich kaum bis nie mit Kunst auseinandersetzen und dies eigentlich auch nicht vorhaben? Ein Aquarellkasten mit Pinsel mag die ein oder andere Volkshochschulkursassotiation auslösen, dennoch könnte gerade diese Art von Sprache der Schlüssel zur Kommunikation sein.
Quelle:
Zohlen, Gerwin. "Eine Erlebnisumgebung mit kontrollierter Temperatur." Zeit Online, 3 Sept.
1 993, www.zeit.de/1 993/36/eine-erlebnisumgebung-mit-kontrollierter
temperatur, Accessed 21 March 2017